In einer perfekten Welt…

Bei der Internetrecherche stoße ich gelegentlich auf abenteuerliche Seiten.

Und manchmal muss ich ein bisschen schmunzeln, über die Naivität einiger Zeitgenossen. Da werden bezüglich unserer elektrifizierten Zukunft hochfliegende Pläne geschmiedet:

  • die komplette Elektrifizierung des Verkehrs bis 2030 (Verbot von Dieseln und Benzinern)
  • bald kommt das emissionsfreie Auto (so sicher wie das Amen in der Kirche)!
  • sämtliche elektrische Energie soll durch Windkraft, Wasserkraft, Biomasse und Solarzellen gedeckt werden, Kohlendioxid ade!
  • Stromschwankungen will man mit dem »intelligenten Netz« ausbügeln, ’smart grid‘ lautet das Schlagwort
  • es sei ja alles eine Frage der Organisation, bis man Kohle und Erdöl endlich eliminieren kann
  • man könnte, um die Reichweite von elektrischen Autos zu optimieren ja Wechselstationen einrichten, oder voll-autonome Fahrzeugflotten, die wieder heimfahren zur Ladestation etc.
  • Das Stromnetz verkraftet das, man muss es nur entsprechend aufbohren und neue Leitungen legen
  • Wenn dann mal jedes Haus eine Ladestation hat, ist alles kein Problem.
  • Alles easy, alles kein Problem, eine Sache des Managements und der Technik
  • Die in der Zukunft leistungsfähigen Akkumulatoren (die man noch entwickeln muss) werden die Reichweite schon bald verdoppeln
  • Der Preis wird schon bald sinken, so dass jeder Elektroautos fahren kann
  • Feinstaub gibt es dann nicht mehr, Bremsbeläge und Autoreifen werden wir schon irgendwie ersetzen!
  • die Windkraft kann noch ausgebaut werden
  • wir verlegen einfach – anstatt Teer auf der Straße – befahrbare Solarzellen!

 

Wisst ihr, was das interessante ist: jede dieser Aussagen für sich genommen, mag wahr und vielleicht sogar umsetzbar sein. Aber als Bündel sind sie einfach nicht umsetzbar, jedenfalls nicht in diesem Zeitrahmen. Es ist so, wie wenn jemand sagt: Pah, einen Strohhalm kann jedes Kleinkind zerbrechen. Das ist leicht, packen wir es an. Aber sobald man ein Bündel von 20 oder 30 Strohhalmen in der Hand hält, kann man es eben nicht mehr zerbrechen. Man muss eines nach dem anderen zerbrechen, und das dauert eben 20 oder 30 mal so lange wie das Zerbrechen eines einzigen Halmes.

In einer perfekten Welt – die diese Jünger gerne hätten – wäre alles kein Problem.

 

In der perfekten Welt klappt alles ganz einfach.

In einer perfekten Welt gäbe es auch genügend Kupfer für neue Stromleitungen und genügend Lithium für die Akkus, und die nötige Energie für deren Abbau, den Transport und die Aufbereitung käme von Solarzellen und Windrädchen (irgendwie halt). Und in einer perfekten Welt würde all dies keinerlei ökologischen Schaden hinterlassen.

Und es gäbe keine Landwirte, die sich gegen Windräder wehren, oder Menschen die durch Windradinfraschall und Schattenschlag psychisch zerbrochen werden. Oder Leute, die einfach keinen Elektrosmog über dem Kopf mögen, würde es auch nicht geben. Und Vogelfreunde und Fledermausfreunde gäbe es auch nicht (die braucht man bald sowieso nicht mehr, wo nix mehr ist…).

Und in der perfekten Welt gäbe es eine unbegrenzte Menge Geld (Kryptogeld!), um eine komplette Infrastruktur umzugestalten. Von Island bis Kap Hoorn. Man fragt sich, auf welchem perfekten Planeten solche Fortschritts-Apostel unterwegs sind, auf dem jedes Problem lösbar ist, weil ja alles so einfach ist. Das ist es eben nicht. Diese Welt ist scheißkomplex. Und deshalb kann gar nichts von alldem jemals einfach umgesetzt werden. Einige Dinge die man bräuchte sind noch gar nicht erfunden (allem voran der perfekte Mensch), und werden es wahrscheinlich auch nie sein. Das sind phantastische Geschichten à la Jules Verne. Papier ist eben geduldig, und man kann die schönsten Pläne schmieden. Wenn es an die Praxis geht, sieht die Sache aber meistens anders aus. Dummerweise gibt es noch physikalische Gesetze, denen wir unterworfen sind. Ob uns das passt oder nicht. Und begrenzte Ressourcen gibt es auch noch. Will man die ganze Erde in ein bergbauartiges, ausgeschürftes Höllenloch verwandeln, nur damit wir mit Elektroautos rumfahren können? Ist das die Ökologie, von dem die Anhänger des eAutos träumen?

Daneben gibt es noch viele, viele Probleme, wie die Intermittenz1 der erneuerbaren Energien, die man hier gar nicht alle ausführen kann. Diese Form der Stromerzeugung steckt noch in den Kinderschuhen, und ist für sich allein noch lange nicht produktiv nutzbar. (Ich weiß, ich weiß: der Fortschritt, alles machbar, ich habe wieder nur zuwenig Phantasie.)

 

Der Erntefaktor sinkt und sinkt – und wir können nichts dagegen machen.

In Deutschland verfallen Straßen und Brücken und Schulen. Es verrecken Leute auf der Straße, weil sie keine Wohnung finden. Nicht mal für den normalen Unterhalt der Infrastruktur sind genügend finanzielle Mittel oder genügend Fachpersonal vorhanden. Diese Infrastruktur wäre heute – im Gegensatz zu den 1960er oder 1970er Jahren – gar nicht mehr aufbaubar. Heute fahren wir nur noch auf Verschleiß.

Zu der damaligen Zeit gab es bei Erdöl und Gas einen Erntefaktor2 von über 40. Im Vergleich dazu haben PV-Anlagen nach einigen Studien einen Erntefaktor von 0,833 oder um 4 (wohlbemerkt: im sonnenreichen Süddeutschland4). Wenn der Erntefaktor unter 1 ist, ist die Herstellung von Solarzellen eine reine energetische Verschwendung. Und bei 4? – Ist das nicht super? Nein. Ein Erntefaktor von 4 bedeutet, dass wir Landwirtschaft und Technik auf dem Niveau der Römer5 betreiben, und dazu würden wir noch eine Menge Sklaven benötigen.

Die Biogaserzeugung hat einen Erntefaktor von 3,5. Das ist knapp oberhalb der mittelalterlichen Dreifelderwirtschaft. Das zeigt, von welchen Dimensionen wir hier reden. Mit diesem EROI kann man keine technische Zivilisation aufrecht erhalten. Die erneuerbaren Energien werden energetisch durch Kohle, Gas und Öl quersubventioniert. Und sie werden den Menschen politisch aufgezwungen, weil sie sonst wegen ihres schlechten Wirkungsgrads und der hohen Kosten niemand kaufen würde. So wie das Elektroauto.

(Ja, ich weiß, jetzt kommen die Fortschrittsjünger um die Ecke: Hey, wir können mit neuer Technik den Erntefaktor sicher steigern, so in zwanzig, dreißig Jahren, wart’s mal ab!  Okay, warten wir, ich bin ganz entspannt. Hier ist sie wieder, die heile, perfekte Welt, in der alles machbar ist.)

Der Fakt ist: der Erntefaktor der fossilen Energieträger sinkt kontinuierlich. Fallen wir unter einen gewissen Schwellenwert, ist hier zappenduster. Der Verfall setzt ein, und zwar rapide. Wir gehen zurück ins Olduvai-Tal.

Exkurs:

Die Frage ist auch überhaupt nicht, ob 80 Millionen Deutsche in einem dichtbesiedelten Land sowas aufziehen. Wir sind sowas von egal auf diesem Planeten. Interessant wird es, was 1 Milliarde Chinesen, 1 Milliarde Inder und 1 Milliarde Afrikaner wollen. Und schon bröckelt die Phantasiewelt, dass man emissionsfrei leben, arbeiten und autofahren kann. Ja, einige wenige können es vielleicht, wenn sie eine Menge Geld haben, und sich diese Emissionsfreiheit (»Umweltfreundlichkeit«) teuer erkaufen können. Das ist gaaanz toll, liebe Leute. Aber ungefähr 5 Milliarden Menschen warten nur darauf, ein westliches Wohlstandsmodell zu kopieren, und sind momentan auf Energiequellen angewiesen, die einen hohen Erntefaktor haben. Das sind Öl, Holz, Gas und Kohle. Und daran wird sich in den nächsten 100 Jahren nichts ändern.

Exkurs Ende.

 

 

Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen

Und das alles ist nur eine Prognose, wenn alles so weiter geht wie bisher, rein linear und so. Aber das ist es eben nicht. Auch unser Klima ist von so vielen Faktoren determiniert, dass wir nicht mal wissen wie das Wetter in zehn Tagen ist. Alles ist nur eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.  Wenn wir also auf ein großes solares Minimum zusteuern, so wird die Problemlage noch weiter verschärft. Im Klimapessimum werden wir sehen, ob die erneuerbaren Energien die Feuerprobe bestehen. Ich habe da meine Zweifel. Hätten wir Zugriff wie in den 1960er Jahren auf Erdöl und Kohle mit einem Erntefaktor von 40-50, würde ich mir wenig Sorgen machen. Mit dem Erntefaktor 4 der erneuerbaren Energien werden wir keinen Blumentopf gewinnen. Sondern einfach erfrieren.

Die Menschen rechnen stets damit, dass wir weiterhin in dieser klimatisch optimalen Phase verbleiben. Alle diese Pläne sind Kinder dieses Klimaoptimums, sie sind ein direktes Derivat davon. Und besonders die deutschen Verfechter des elektrifizierten Fahrens gehen irgendwie von einer schönen, neuen perfekten Welt aus.

Weltweiter Kampf um Ressourcen, Unruhen, Bürgerkriege, die Anfälligkeit des »smart grids« und der »smarten« Stromzähler scheint kein Problem zu sein. Alles harmoniert wunderbar fehlerfrei. Wir fassen uns alle bei den Händen, singen Antikriegslieder und schwenken unsere Smartphones. Alles wird gut, wenn wir nur ganz feste daran denken.

In der perfekten Welt leben alle in Frieden und sind Rohkostveganer – emissionsfrei natürlich, es wird zukünftig alles mit Elektroautos und Elektroflugzeugen und Elektroeisenbahnen transportiert – ihr werdet schon sehen, die Akkutechnik wird es richten!

Terrorattacken auf das Stromnetz sind auch nur Kleinigkeiten, die man »handeln« kann. Ebenso wie Erdbeben und Extremwetter. Und 4 Milliarden Menschen die weiterhin auf Kohle und Öl setzen müssen, weil sie sonst verrecken, sind auch kein Problem. Die können auch bald alle Tesla fahren, oder Carsharing nutzen. Alles eine Frage der Technik, der Vernetzung und des Wollens! Das biegen wir auch noch hin! Und die Lithium- und Kupfervorräte? – Kein Problem, wir können alles recyclen (irgendwann!).

Ich muss wohl mal wieder eine Dose mit Phantasiepillen in der Apotheke holen. Vielleicht habe ich dann auch wieder optimistische Hipster-Visionen: Alles ist smart, perfect und easy… Scheiß auf den Realismus. Den braucht doch keiner.

 


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  1. https://en.wikipedia.org/wiki/Intermittent_energy_source
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Erntefaktor
  3. http://euanmearns.com/the-energy-return-of-solar-pv/
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Erntefaktor#Erntefaktoren_und_Amortisationszeiten_einiger_Kraftwerkstypen
  5. https://www.nzz.ch/meinung/energiepolitik-von-sklaven-und-segeln-ld.154494