Die weltweiten Nahrungsmittelreserven reichen 74 Tage

Ginge ein Mensch des 19. Jahrhunderts heute durch einen Supermarkt, so würden ihm die Augen übergehen. Schlaraffia wurde wahr: alles kann man für wenig Geld kaufen. Brot, Gebäck aus Holland, Käse aus Frankreich, Salami aus Spanien, Rindfleisch aus Brasilien, Erdnüsse aus China, exotisches Obst und Gemüse aus der ganzen Welt.

Für ein Laib Brot müssen wir wahrscheinlich nicht einmal eine Minute arbeiten. Früher war dies mühseliger: Feldpflege, Aussaat, Ernte mit der Sense, Drusch von Hand, mühseliges Mahlen, einmal in der Woche im Backhaus die Brote backen. Ja, wir haben es weit gebracht. Alles fliegt uns zu, wir müssen nur ein paar Pfandflaschen am Wegesrand auflesen, und dann können wir uns 4000 kcal in den Magen stopfen. Das reicht für 2 Tage. Oh, was für ein Wunderland, in dem wir doch leben!

Doch der Aufwand im Hintergrund ist erheblich, und nur die erdölbetriebenen Sklaven, eine extreme Arbeitsteilung, fachliches Wissen und ein klimatisches Optimum ermöglichen uns eine kurze Phase dieser Sorglosigkeit. Wir fühlen uns sicher in diesem System.

Zu sicher?

 

840 Millionen Menschen leiden heute Hunger. Das Problem ist nicht, dass es zuwenige Nahrungsmittel gäbe. Kriege, Konflikte, fehlende Organisation, Korruption, Dürrekatastrophen, Überschwemmungen, verseuchte Nahrungsmittel, Verderb durch Unachtsamkeit sind nur einige wenige der Gründe, dass jeder neunte Hunger leiden muss.

Selbst in Industrieländern wie den USA gibt es nicht wenige Menschen, die an Unterernährung leiden und aus finanziellen Gründen auf staatliche Verteilung von Nahrungsmitteln angewiesen sind (47 Millionen Bezieher von Food Stamps).

Und selbst versorgen mit Nahrungsmitteln kann sich heute fast niemand mehr, in den Industrieländern sprechen wir sicher von einer 1 Person pro 10000 Einwohnern, die noch fähig ist, den eigenen Nahrungsmittelbedarf zu 100% selbst zu decken. Selbst die Landwirtschaft arbeitet heute höchst effektiv und spezialisiert.

Wenn heute bereits fast eine Milliarde Menschen an Hunger leiden, in einem System, dass scheinbar reibungslos funktioniert und in dem viele technische Hilfsmittel bereitstehen: wie würde die Situation aussehen, wenn es auf der nördlichen Halbkugel (oder gar global) zu einem oder zwei Jahren ohne Sommer kommt?

Ausgelöst durch einen Vulkanausbruch?

Oder zu Missernten infolge von zu nasser und kalter Witterung?

Oder einen Kollaps des europäischen Stromnetzes durch Schnee und Eis, der auf 95% der Solarpanels fest friert? Oder wenn Stromleitungen reißen, durch wochenlange Vereisung und Starkwindereignisse?

 

Jedes Land wird seine eigenen Probleme haben.

Die Industrieländer haben dann alle Hände voll zu tun, ihre eigenen Probleme in den Griff zu bekommen. In solchen Fällen wird es problematisch genug werden, die Nahrungsmittel an 80 Millionen Einwohner in Deutschland zu verteilen. Trotz aller Getreidelager der Staates, trotz eines kleinräumigen Gebietes…

Und was sollen dann die Menschen eigentlich mit dem Getreide machen? Wer kann dies heute noch ohne Strom zu Mehl vermahlen und ohne Strom backen? Heute weiß die Mehrheit nicht mehr wie man sich aus Grundzutaten ein Mittagessen kocht. Diese Zeiten sind lange vorbei, als man aus Mehl, Eiern und Zucker etwas zaubern konnte. 30 Jahre Industrienahrung, Schnellrestaurants, Fertigpizza und Mikrowelle haben ihren Teil zur Wissensvernichtung beigetragen. Man wird eben faul und fett in der Zivilisation. Die Annehmlichkeiten werden nie aus freien Stücken ausgeschlagen.

Will der Staat das Brot in Großbäckereien backen lassen und dann verteilen? Wie, ohne stabile Stromversorgung? Wie, wenn es nur die Hälfte der Mitarbeiter zur Arbeitsstelle schafft? Vorher muss das Korn noch gemahlen werden. Wir sind doch nicht mehr im Jahre 1950 unterwegs – heute sind die Hersteller alles Spezialistenbetriebe, die computergesteuerte Backstraßen und Großmühlen steuern. Da lernt man nicht über Nacht ein paar Bäckergesellen an. Das ist Spezialistenwissen. Fallen diese Spezialisten irgendwie aus, steht der Betrieb still. Gibt es überhaupt Pläne in der Schublade für so etwas, und sind sie das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind?

Sind das etwa solche hilfreichen Pläne aus dem Kalten Krieg,  wie z.B.: »Wenn die Russen 10 Atombomben auf die USA schmeißen, dann schauen Sie nicht in den Lichtblitz und kauern Sie sich hinter einem Schreibtisch zusammen. Wenn Sie außer Haus gehen, binden Sie ein altes T-Shirt um den Mund. Bitte warten Sie ruhig auf staatliche Hilfe und die Durchsagen im Radioapparat! Wir wünschen Ihnen bis dahin noch einen schönen Tag.« 

Okay, alles klar… von dieser Seite werden wir keine Hilfe erwarten können.

 

Utopische Notfallpläne.

Solche Notfallpläne hat jedes Land in der Schublade liegen.

Alle diese Pläne arbeiten immer unter der Prämisse, dass sich die Bevölkerung brav in die Reihe stellt, und sich jeder seinen Scheffel Weizenkörner vom LKW abholt. – Wie naiv ist das denn bitte?

Wir werden blutige Schlachten vor den Supermärkten sehen. Tankstellen werden durch Idiotismus in Flammen aufgehen, wenn man versucht, Benzin aus den Tanks von Hand hochzupumpen. LKW mit Hilfsgütern werden entweder einfach überrannt, oder durch korrupte Soldaten an den meistbietenden Clanchef verschachert. So sieht leider (mittlerweile) die Realität aus.

Das Herunterwirtschaften einer Zivilisation geht flott von statten, drei Monate Hunger reichen völlig aus, und dieses System liegt irreparabel am Boden. Zerstörung benötigt keine Intelligenz, etwas kaputtmachen kann auch ein dreijähriges Kind mit Wutanfall. Aber aufbauen – dazu braucht es Intelligenz, Planung, Organisation, gemeinsame kulturelle Werte.

Bei allen diesen Planspielen der Verteilung der Notreserven geht man von einer ruhigen, besonnenen Bevölkerung aus, die durch Radio- und  Lautsprecherdurchsagen beruhigt werden kann, und sich an die Regeln hält. Das dumme ist nur, dass diese Szenarien im Kalten Krieg entwickelt wurden. Sie sind 60 Jahre alt. Die Zeiten (die Menschen) haben sich geändert. Früher hat man aus Höflichkeit Frauen auch noch die Tür aufgehalten und seinen Sitzplatz angeboten. Man sagte Bitte, Danke, Guten Tag und Auf Wiedersehen. Heute sagt man: ich will, und zwar ein bisschen plötzlich. Wir wissen alle, wie man heute miteinander umgeht. Die Werte erodieren, und sie erodieren schnell.

 

Die kommende Klima-Krise wird ein Brandbeschleuniger sein, so wie wir es bei den Zusammenbrüchen der Zivilisationen immer wieder sehen konnten.

Im übrigen reichen die weltweiten Nahrungsmittelreserven nur 74 Tage. Und das nur, wenn sich alle an die Spielregeln halten und die Ware auch gerecht verteilt werden kann.

Das ist fabelhaft, dieser Plan. Ja, er gehört tatsächlich ins Reich der Fabeln.

 

 

 

 

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