Wir haben den Bogen überspannt

Konjunktive in einem Text zu verwenden, ist eigentlich eine unschöne Angelegenheit. Denn die Dinge sind so wie sie sind, und nachher ist man immer schlauer. Aber für historische Vergleiche sind sie manchmal angebracht.

Manchmal erscheint es mir, es wäre besser gewesen, der Mensch wäre technologisch (nicht kulturell!) in den 1950er Jahren stehen geblieben.  Es war selbstverständlich nicht alles gut, und die gute alte Zeit wie aus Schwarzweißfilmen gab es nie. Es hätte aber eine werden können, wenn die Ressourcen mit Überlegung und Maß genutzt worden wären. Zu dieser Zeit hatten wir eigentlich eine krisensichere Technik im Einsatz: robuste Maschinen, die zwar nicht besonders präzise im Vergleich zu heute waren, aber ihren Zweck erfüllten – sie erleichterten nämlich das Leben, anstatt es zu verkomplizieren.

 

 

Der Sinn und Zweck von technischen Apparaten ist vergessen worden.

Ein Auto diente damals nicht dem Komfort und dem Zeitvertreib, sondern meistens dazu, ohne große Mühen von A nach B zu kommen und Waren zu transportieren. Was für eine herrliche Erleichterung, anstatt wie früher mit den Ochsenkarren 5 Stunden im knietiefen Schnee zur nächsten Stadt zu laufen, benötigte man nur noch 10 Minuten. Aber nein, heute wollen wir nicht einmal mehr selbst fahren. Das sollen die Computer und die Satelliten erledigen.

Die Elektrifizierung erleichterte den Handwerkern nahezu alles, von elektrischen Bohrmaschinen, Hobeln und Bandsägen. Die Sachen wurden oft einfach von Riemenantrieb auf Elektromotoren-Antrieb umgestellt. Man hätte auch jederzeit wieder den Riemenantrieb mit Wasserkraft verwenden können, oder die handbetriebene Bohrmaschine. Der Weg zurück war nicht versperrt. Alle Optionen standen offen.

Der Landwirt hatte Maschinen, die dafür gebaut waren, was sie eigentlich tun sollten: die tierische und menschliche Muskelkraft ersetzen. Die Traktoren zerschredderten damals keine Rehkitze, weil sie nur 10 km/h schnell fuhren. Der Mähbalken reichte aus, um 10 Mann an der Sense zu ersetzen. Es konnte eigentlich schon recht effektiv gearbeitet werden, und die Ersatzteilkosten fraßen niemanden finanziell auf. Vielleicht teilten sich auch drei Bauern ein paar Maschinen, man bezahlte bar, und niemand war in den Fängen der Banken. Man nutzte diese Technik, die man mit etwas technischem Verständnis selbst reparieren konnte. Heute kauft man teure Maschinen, weil man immer mehr in weniger Zeit erledigen muss, weil man sonst den Kredit für die neuen Maschinen nicht bezahlen kann. Erkennt jemand den Fehler?

Und die Glühbirnen machten das, was sie sollten: sie ersetzten das Talglicht und den Kienspan. Sie hatten vielleicht nur 10 oder 25 Watt, aber das reichte um nachts den Weg auf’s Klo zu finden. Man machte das Licht nach dem Abendessen aus.  Niemand vermisste von Werbetafeln hell beleuchtete Innenstädte, und auch keine Läden die bis 24 Uhr offen waren.

Das war eine Zeit, in der die meisten Menschen noch wussten, wie man einfach leben konnte. Es wurde geflickt, ausgebessert und genutzt bis es nicht mehr anders ging. Und die Reste wurden im Bastelkeller noch zu Spielzeug für den Enkel verwertet, oder die Lumpen wurden als Füllung für die selbstgenähten Puppen verwendet. Wegwerfartikel gab es nicht. Der Kaufmann wickelte die Wurst noch in altes Zeitungspapier ein, welches man anschließend zum Anfeuern im Holzofen verwenden konnte. Und Schuhe ließ man sich zwei Paar beim Dorfschuster machen. Die hielten 25 Jahre, und in dieser Zeit kamen 5 neue Sohlen drauf. Und danach konnte man sie auf den Kompost-Haufen werfen, oder das alte Leder in Streifen schneiden, und sich Riemen daraus herstellen.

 

Analoge Technik war gute Technik.

Die Digitaltechnik steckte in den Kinderschuhen. Man hätte es dabei belassen sollen. Die Analogtechnik der damaligen Zeit war präzise genug für den Menschen. Es war eine analoge Technik für eine analoge Welt. Und genau das macht auch die Faszination dieser Technik aus, die fast alle Menschen auch heute noch dafür empfinden. Wir sind keine digitalen Wesen, und diese Technik wird uns immer wie ein Fremdkörper erscheinen. Auch wenn wir den Gedanken daran meistens verdrängen.

Die Menschen fanden auch ohne Navigationsgerät ihr Fahrtziel. Sie nahmen dazu eine Karte aus Papier, und wenn sie was nicht fanden, dann fragten sie jemanden an der Straße.

Das Telefon zu Hause auf dem Arbeitstisch war okay. Nein, falsch: Es war fantastisch. Man konnte damit jemand am anderen Ende der Welt erreichen. Aber nein, das war uns offensichtlich nicht gut genug. Wir wollten diesen Komfort auch von unterwegs aus nutzen. Und müssen deshalb die halbe Welt mit Funkwellen bestrahlen. Und dort wo es heute keinen Empfang gibt, meint man den Hauch von Mittelalter zu verspüren.

 

Wir sind über das Ziel hinausgeschossen – und zwar weit über jedes Maß

Gut, wir können es nicht ändern. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Jetzt haben wir das Problem schon an der Backe. Wir haben es wieder einmal vermurkst, unseren Fortschritt. Wir sind mehr als einen Schritt zu weit gegangen.

Es war uns nicht mehr gut genug, das wir Glühlampen hatten. Wir mussten sie auch noch vernetzen, damit wir den Mist mit unserem Smartphone steuern können. Unser guter alter Gurt am Rollo reicht uns nicht mehr. Wir wollen das Ding elektrisch und vollautomatisch computergesteuert um Punkt 7:43 Uhr hochfahren lassen. Aber bitte von Shanghai aus!

Der Mensch wollte immer präziser werden. Alles musste digital sein, alles vernetzt. Als ob uns das inneren Frieden und Abnahme von Gedankenarbeit bringen würde. Maschinen wurden einst konstruiert um das Leben zu erleichtern. Über diesen Punkt sind wir lange hinweg. Eine Waschmaschine hat heute eine Anleitung von 74 Seiten, damit man diesen Apparat versteht. Und die Maschine kann bald das Waschpulver auch vollautomatisch bei ‚Firma Gnadenlos‘ von Herrn Bezos bestellen, weil sie direkt ans Internet gestöpselt ist. Früher gab es den An-Aus-Knopf und drei Temperatureinstellungen. Das war okay, die Wäsche wurde sauber und keine Hausfrau schrubbte sich mehr die Finger wund. Und die Maschine lief dreißig Jahre ohne große Probleme, und jedes Kleinkind konnte das Ding in Betrieb nehmen. Und Ersatzteile dafür gab es bei Miele 30 Jahre lang, und jeder der einen Schraubenzieher halten konnte, schaffte es, die Heizstäbe selbst zu wechseln.

Diese Liste ließe sich wahrscheinlich beliebig verlängern. Bei der Elektrifizierung einiger Lebensbereiche hätten wir es belassen sollen. Mit der Digitalisierung und jetzt mit der Vernetzung aller Apparate haben wir ein Monster erschaffen, das uns beherrscht. Wir können nicht mehr zurück, wir haben den Bogen überspannt. Wann er zerbricht, das wissen wir nicht. Wir haben die Stromerzeugung vernetzt, die Biogasanlagen, Windräder und PV-Anlagen arbeiten hochpräzise miteinander. Jedes Jahr packen wir noch was drauf, was das angeht. Ein Umdenken wird aus freien Stücken niemals stattfinden. Nur durch äußeren Zwang.

Wieder einmal – wie jede Zivilisation – haben wir in unserer Einfältigkeit geglaubt, dass wir alles schaffen können. Das ist ein Trugschluss. Wir hätten die Notbremse ziehen müssen, und uns mit einem bescheidenen technischen Fortschritt zufrieden geben sollen. Doch wir wollten alles. Und deshalb werden wir eines Tages auch alles verlieren.

Für eine lange, lange Zeit wird es dann keinen so hohen technologischen Stand mehr geben, wie wir ihn in den 50er Jahren hatten. Aber das ist nicht zu ändern.

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