Der Optimismus und seine Gefahren

Wir in Deutschland – oder in Mitteleuropa – sind wirklich verwöhnt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geht es uns gut: bescheidener Wohlstand, keine Kriege, keine klimatischen Großereignisse (bis auf gelegentliche Sturmfluten an der Küste), keine Großkatastrophen. Das Wasser wird immer sauberer (das wird jetzt in Indien und China verschmutzt), alles geht seinen geordneten Gang.

Die Renten sind sicher.

Es ist eine trügerische Sicherheit. Vor allem kennen wir diese Sicherheit meistens seit unserer Geburt. Wir wuchsen weitgehend behütet in einem Schlaraffenland auf. Wir alle hatten wahrscheinlich auch als Kinder schon Schuhe, etwas anzuziehen und eine Menge Spielzeug. Wirklichen Hunger kennt niemand mehr. Die meisten Menschen wissen dies nicht zu schätzen, und nehmen das als völlig selbstverständlich hin.

Von unserer Warte aus betrachtet, sieht das Leben sicher aus: planbar, abgesichert, in Watte gepackt, und Abiturienten freuen sich schon auf das nette Rentnerdasein mit Wohnmobil und Stadtrandhaus – nachdem sie ihre Beamtenlaufbahn absolviert haben.

Es ist trügerisch, wenn man davon ausgeht, dass dieses System mit seiner Rundumversorgung auf alle Zeiten hin stabil gegründet wäre.

Denn das ist ein Irrtum.

 

Ein wenig Systemanalyse

Da »das System« immer ein Konstrukt aus Lustvorstellungen, Wünschen, Sicherheitsempfinden, Unlustempfinden usw. der Menschen darstellt, ist es letztlich ein 100%iges, exaktes Abbild dessen, was die Mehrheit denkt (oder nicht denkt) und welche äußeren Einflüsse gerade vorhanden (oder abwesend) sind, wie wir als Kollektiv und Einzelne darauf in der Vergangenheit reagiert haben, welche Zukunftsvorstellungen uns plagen.

Da die Mehrheit der Menschen offensichtlich glaubt, in einem höchst stabilen Umfeld zu leben, sind Schreckensszenarien – wie ich sie hier ausarbeite – nicht in den Köpfen der Menschen vorhanden. Sie sind einfach viel zu optimistisch. Das ist verständlich, weil wir dazu neigen, viel öfter an schöne und erfreuliche Dinge zu denken, als an Leid, Tod, Verzweiflung und Trauer. Wir verdrängen diese für uns unangenehmen Erfahrungen gerne. Dieses Verhalten – so verständlich es für den einzelnen sein mag – hat aber auch Schattenseiten: eine drohende Gefahr wird nicht mehr als eine Gefahr wahrgenommen. Denn: es ist ja immer alles gut ausgegangen, und deswegen macht man sich keine Sorgen darüber. Man wird sorglos.

Wenn aber die Menschen diese möglichen Gefahren verdrängen – oder andere, recht banale Dinge in ihrem Leben absichern oder sich nur Gedanken über den Wahlausgang im nächsten Monat machen – werden wir vielleicht zu einem leichten Opfer, wenn sich eine wirkliche Katastrophe abzeichnet.

Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen früher –  vor unserer vollindustrialisierten Gesellschaft -wesentlich pessimistischer waren, was ihr irdisches Leben anbelangte. Kinder starben reihenweise, die übriggebliebenen mussten mehr schlecht als recht durchgebracht werden. Kinder wurden oft verkauft als Gehilfen für andere Bauern. Zuviele durfte man aber auch nicht hergeben, waren die eigenen Kinder doch die Renten- und Pflegeversicherung der damaligen Zeit. Man selbst hatte oft nicht genug zu essen, die Ernte war mies, die Auszehrung nagte beständig an einem und dann und wann musste man von seinem wenigen Hab und Gut auch noch Fourageleistungen an das Militär ableisten. Es ist kein Wunder, dass man in diesen Zeiten stark gottgläubig war: dieser Gedanke spendete eben Trost, dass es wenigstens nach dem Tod ein wenig besser würde, wenn man ein frommer Mann oder eine züchtige Frau blieb. Und die Frömmigkeit an sich kostete ja wenig Geld… nur etwas guten Willen. Diese Hoffnung bewahrte wahrscheinlich so manchen vor dem Gang auf den Speicher, mit dem Hanfseil in der Hand.

 

Der Optimismus stellt uns ein Bein

Heute haben wir die nötige Technik, einen hohen Bildungsstand und könnten kommende Gefahren für die Menschheit sogar prognostizieren. Wir hätten es also im Vergleich zu 1800 recht leicht, kommende Entwicklungen abzuschätzen, oder sie zumindest in den Bereich des möglichen zu ziehen.

Doch unser Optimismus bezüglich der Zukunft stellt uns dabei ein Bein: er macht uns für den Moment glücklich, und der Mensch wähnt sich als allmächtiger Former seines Schicksals und Unterjocher der Natur.

Utopien gab es schon immer, sie werden nie erreicht. Hier Etzlers »Paradies für jedermann« aus dem Jahre 1844.

Es ist nur noch eine kleine Zeit zu überbrücken, so die Zukunftsforscher, dann endlich wird alles wahr: niemand muss mehr arbeiten – das machen die Roboter, die sich auch noch selbst bauen und programmieren – eine neue Form des Lebens entsteht, wir besiedeln neue Planeten usw. usf. Diese optimistischen Prognosen gibt es schon seit einhundertfünfzig Jahren. Nichts davon ist wahr, und wird jemals wahr werden. Die Erfüllung dieser fantastischen, tollen Welt ohne Arbeit durch Maschinen mit künstlicher Intelligenz liegt immer 30 Jahre in der Zukunft. Es ist wie die Mohrrübe, die einem ausgehungerten Pferd mit einer Angel vor die Nase gehalten wird: ständig lechzen wir danach, können die Belohnung aber nie erreichen. Aber wir rackern uns immerhin tüchtig dafür ab.

Der Optimismus macht uns zu Blinden, die unfähig geworden sind, drohende Gefahren zu erkennen. Das Gespür dafür ist den meisten – dank unserer sorglosen Jugend und sorglosen Lebens – völlig abhanden gekommen. Es wird höchstens dumpf geahnt, dass irgendwas mal passieren könnte. Aber dieser Gedanke wird sofort verdrängt, weil er die Komfortzone erheblich stören würde. Man müsste nämlich etwas an seinem Lebensstil ändern, kann man aber nicht, weil man dann von den Freunden für verrückt erklärt werden würde, außerdem hat man ja noch Kinder und ein Haus, dass man abbezahlen muss.

Der allgemeine Optimismus ist – wie alle religiösen Muster – ein sich selbst erschaffendes, selbst erhaltendes System:

Wenn viele an irgendwas glauben, dann glaubt man, dass da etwas wahres dran sein muss.
Und dann glaubt man auch das gleiche, wie die anderen.
Und alle anderen denken das gleiche von dir und allen anderen.
Und so schließt sich der Kreis: alle glauben an irgendwas, weil alle daran glauben.

 

Vom Klimaoptimum zur Klimadepression

Der allgemeine Optimismus war allen frühen Zivilisationen eigen, in identischem Maße wie wir ihn heute zelebrieren. Wenn heute die Menschheit von E-Autos, Ultraschallzügen und Essenslieferungen mit Drohnen und Robotern träumt, so glaubte man vor 2000 Jahren die ganze Welt kultivieren zu müssen: mit Wasseranschlüssen, Kanalisationen und neuen Aquädukten, und der Eroberung neuer Gebiete. Man war sich den drohenden Gefahren nicht bewusst, ein pessimistisches Szenario war einfach nicht eingeplant. Es lief einfach zu phantastisch, die Götter auf unserer Seite! Fortschritt für alle, auch für die Wilden!

Klimatische Warmzeiten werden nicht ohne Grund »Klimaoptimum« genannt. In solchen Zeiten schwelgt der Mensch eben im allgemeinen Optimismus. Es gibt ausreichend Nahrung, stabile Verhältnisse, vergleichsweise wenig Krieg – der Aufschwung ist da, und man wird immer wagemutiger. Man glaubt, dass die mühseligen Zeiten jetzt endlich – ein für alle mal! –  der Vergangenheit angehören. Erfinder, Dichter und Künstler verrichten ihr Werk, was auch daran liegt, dass mehr »Freizeit« da ist, wie zu klimatisch schlechten Zeiten. Anstatt die Nahrung für den täglichen Bedarf besorgen zu müssen und für das Winterhalbjahr vorzusorgen, macht der Mensch nun eine Menge anderer Dinge: Handwerke und Künste blühen auf, die ganze Welt muss mit dem Fortschritt (zwangs-)beglückt werden. Das funktioniert genau so lange, bis sich das Klima wieder abkühlt und wir in die Klimadepression zurückfallen. In die eine neue klimatische Kaltphase. Und dann werden wieder allgemein lange Gesichter gezogen, weil man ja damit nun überhaupt nicht rechnen konnte!

Wie immer in der Menschheitsgeschichte, ist diese drohende Gefahr, die uns alle betrifft, eine Klimaabkühlung, und nicht die Klimaerwärmung.

Wir sollten mehr Pessimismus wagen.

Für den Anfang reicht schon ein bisschen Realismus.

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