Über die vermeintliche Stabilität von Gesellschaften

Das zivilisatorische und technologische Netz ist so dicht gewebt, wie nie zuvor. Es gab noch nie soviele Menschen auf diesem Planeten.

Um diese Masse an Menschen ernähren zu können, muss ein hochkomplexes System ständig verfügbar sein. Kleinere, lokale Störungen sind dabei kein allzugroßes Problem. Solche Störungen wie lokale Erdbeben, Hochwasser oder Tsunamis sind zwar für die betroffenen Personen tragisch, aber für die Stabilität des Systems offensichtlich unerheblich.
Ganz im Gegenteil: solche Ereignisse – so paradox sich das für manche anhöhren wird – tragen eher zur Stabilität des Systems bei: Schwachstellen im System können entdeckt und eliminiert werden, die Wirtschaft wird durch neue Kreditnehmer (Nachschuldner) angefacht, die Wirtschaft boomt regelrecht in den nicht betroffenen Regionen. Des einen Leid ist des anderen Freud‘. Wie bei Kriegen, in denen von einigen wenigen Profiteuren immer am meisten verdient wird.

Dennoch bleibt dieses System sehr anfällig für größere, flächendeckende Störungen, oder auch für eine Kettenreaktion, ausgelöst durch eine banale Verkettung unglücklicher Umstände.

Stabile Verhältnisse sind solange gewährleistet, wenn alles scheinbar seinen geordneten Gang in der Gesellschaft geht:
Wenn man sich darauf verlassen kann, dass es morgen noch eine Arbeitsstelle geben wird, der Strom funktioniert und genug Geld im Geldbeutel ist, um im Supermarkt etwas zu essen kaufen zu können. Sobald sich diese Verhältnisse zu schnell verändern, keimt Unruhe auf. Die Unsicherheit steigt, es kommt zu Demonstrationen, Umstürzen, Revolutionen, politisch extremen Verhältnissen (weil sich Stabilität zurückgewünscht wird, »so wie es früher war« usw.).
Schnelle Änderungen sind Gift für das gesellschaftliche Zusammenleben.
Der Faktor Zeit ist entscheidend: das weiß jede Zentralbank die mit ihrer Geldpolitik die »Wellen glätten« kann, bis sich die Menschen an andere Verhältnisse gewöhnt haben, und die neuen Gegebenheiten als selbstverständlich ansehen.
Wenn es also zu schnellen Veränderungen der Rahmenbedingungen kommt, ist die Stabilität des Systems in Gefahr. Und das, was 120 Jahre lang mühselig durch unsere Vorfahren aufgebaut wurde (Trinkwasserversorgung, Stromversorgung, Kommunikation usw.), kann binnen Kürze kaputtgemacht werden. Abreißen geht halt immer schneller als Aufbauen.

 

In allen bisherigen Zusammenbrüchen von Zivilisationen – die sich allerdings mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte hingezogen haben – konnten wir sehen, dass die komplexen Errungenschaften nicht am Leben erhalten werden konnten. Nach der Vertreibung der Römer hatten die Eroberer kein Interesse daran und kein Wissen darüber, wie man Wasserversorgungen, Kanalisationen oder eine Sauna in ein Steinhaus bauen kann. Wissen ging rapide verloren. Man nutzte das vorhandene Material, war aber unfähig, die Dinge instand zu halten, zu pflegen, zu verbessern. Der lange Abstieg hatte begonnen.

Damals – bei der geringen Bevölkerungsdichte – war es ziemlich egal, ob man solche Gebiete aufgab oder die Wasserleitungen verrotten ließ (es gab ja genug Bäche und Seen mit sauberem Wasser und Holzbottiche, mit denen man auch Wasser holen konnte). Die intakte Natur bot genug Ressourcen und Spielraum sich anderweitig zu verpflegen. Zwar auf geringerem technologischen Niveau, aber das war kein Problem.

Völlig anders sieht es heute aus. Unsere Zivilisation ist global und allumfassend. Sieben Milliarden Menschen sind auf das Vorhandensein eines dünnen Kupferdrahtes angewiesen: einer stabilen Stromversorgung und der ständigen Verfügbarkeit des Internets.
Sollte dieses Stromnetz oder das Internet  großflächig kollabieren (wobei mittlerweile das eine Netz das andere grundsätzlich bedingen dürfte, und die Vernetzung geht immer weiter in atemberaubendem Tempo!), so kommt es zu einer Kettenreaktion, deren Folgen wir nur grob abschätzen können. Von großflächiger Verseuchung durch Atomkraftwerke und Chemieanlagen bis Hungersnöten können wir uns alle Schreckensszenarien ausmalen.

Wir sollten nicht dem Trugschluß unterliegen, dass dieses System auf Ewigkeiten stabil gegründet wäre. Der Untergang kommt im Vergleich zum Aufbau immer sehr plötzlich. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit schwinden in der Gesellschaft Werte, die man scheinbar für selbstverständlich erachtete. Diese Werte sind aber das Ergebnis einer technologischen und staatlichen Organisation. Zerfällt diese Organisation der Abläufe, sind Untergang und Erosion bereits eingeläutet.

 

Dieser Zerfall ist im Anfangsstadium oft nicht sichtbar. Bis man ihn wirklich erlebt und sieht, ist es bereits zu spät. Die Abwärtsspirale hat dann unumkehrbar begonnen.

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